Die Kamera als Kamera

Eine Polemik über Film und Text und Film als Text

Ist der Film eine eigenständige Kunstform geworden? Hat er es geschafft, sich von der ihm unterstellten Diktatur der Schrift und aus der befürchteten Sklaverei der Sprache so zu lösen, dass man ihn verstehen kann, ohne ihn in Text über setzen zu müssen? „Was sind die besten Söhne? Jene, die den Vater vergessen machen!“ Wenn ich aus dem Kino komme, habe ich oft diese Keuner-Geschichte Brechts im Kopf, aber unbewusst. Ich überprüfe – und mit mir viele der anderen Mitseher wohl auch -, welche Theorien mir das Gesehene ins Gedächtnis zurückruft und wo ich den Film als Text schon einmal gelesen habe (manchmal fast unverändert, manchmal seine Metaphern und Symbole). Lynchs „Lost Highway“ rüttelte den Odysseus in mir wach, Emmerichs „Independence Day“ ließ mich in mir noch einmal die Definition von Derridas „Anderem“ nachschlagen und Spielbergs „Lost World“ erinnerte mich mahnend daran, den Freud noch im Original lesen zu müssen. War ich selbst schuld daran? Ja und Nein. Denn gefordert wird und wurde immernoch die Kamera doch endlich als Federhalter zu sehen. Ein Federhalter, der – das ist wichtig! – pseudographematische Texte schreibt, der Philosophie und Psychologien ebenso wie Mythen und Märchen schreibend mitzuteilen versucht. Der Film soll „Essay“ werden, er soll „Roman“ sein und die Verben konjugieren. Fünfzig Jahre alte Forderungen, aufgestellt von Alexandre Astruc, die wohl mit dafür geso rgt haben mögen, dass unzählbare Kilometer Film zum Textsurrogat belichtet wurden.

Belegen muss ich das kaum. Liest man populäre Filmzeitungen, regen sich deren Autoren oft (künstlich) darüber auf, dass dieser oder jener Film viel zu sehr (s)einer literarischen Vorlage gliche. Er solle doch endlich eigenständig werde n: Hinter „Shining“ (wohlgemerkt Mick Garris 1996er Neuverfilmung – ein Wort, dass die ganze Problematik schon in sich enthält!) solle doch nicht mehr ausschließlich Stephen Kings Roman stehen(1), sondern Stephen K ings Idee. Und mit dieser Forderung und der darin enthaltenen Kritik reiht sich der Autor ein in die Vergleichprozesse: Er fordert, dass sich ein Kind von den Eltern löse, anstatt zu bestreiten, dass es ein Kind ist und somit überhaupt Eltern ha ben müsse. Aber es geht auch anders. Wenn man einmal von den wenigen, unsinnigen und tatsächlich absichtlichen Versuchen absieht, einen Roman bebildern zu wollen(2) und wenn man sich bemüht, die lesbaren Texte und Theorien gesondert vom Film, unabhängig vom Bild mit dem lichtflackerndem Kunstwerk Film in Einklang zu bringen, kann man sich von allem Schriftsprachlichen entfernen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Der angesprochene Alexandre Astruc hat die camÈra-stylo 1948 gefordert. Er bezog sich auf die jüngsten Filme dieser Zeit. Und einen solchen will ich zur Betrachtung heranziehen: Roberto Rossellinis Stromboli. Ein Kunstwerk, über das sich sicherl ich viel gestritten wurde. Ist es nun noch Neorealismus oder nicht und dann wurde natürlich auch über dieses „noch“ debattiert. Ich will den Film jedoch nicht ästhetisch kategorisieren, sondern an ihm die Frage zu erörtern ve rsuchen: Ist das Kunstwerk Film eigenständig? Zuerst drei Wege, die diese Frage am wahrscheinlichsten mit Nein beantworten könnten. Wie den Filmkritikern (und in Aussicht auf die Beantwortung müsste ich wohl eher „Textkritikern“ schreiben) wahrscheinlich auch, sind mir drei wesent liche Motive in Stromboli besonders aufgefallen: 1. Die Verlorenheit des Individuums in der Absurdität seines Daseins, 2. die Entwicklung der Persönlichkeit vom Ich zum Wir und 3. die Suche nach Gott in der Suche nach den Anderen.

Anfangs also eine kursorische existenzphilosophische Betrachtung. Rossellini schafft es meisterhaft, die Welt auf eine kleine Insel im Mittelmeer zu reduzieren. Das ist angesichts der Philosophie, die hinter den Bildern steht, notwendig und für diese Zwecke auch völlig ausreichend. Es reicht aus, einige Aspekte des Lebens zu beschreiben, um die Absurdität zu verdeutlichen, die aus dem Fragen des Menschen nach Sinn und dem Schweigen der Welt folgt. Begrenzt man mit dem Horizont ein paar weni ge Hektar Vulkangestein, ist es möglich existentielle Erfahrungen zu einer Parabel zu verdichten. Karin, in dieser Rolle grandios von Ingrid Bergmann verkörpert, steckt mitten in dieser Welt. Aber nicht schon immer: Sie ist in sie „hineingeworfen“, wie Heidegger es treffend beschreiben würde. Durch einen Zufall oder ihre Unwissenhe it in Geografie, hat sie sich in die Situation gebracht, dem Absurden tief in die Augen sehen zu müssen: Der Krieg (nach Camus einer der Grunderfahrungen des Absurden schlechthin) hat sie mit Antonio, einem italienischen Kriegsgefangenen zusammengebr acht, ihn mit ihr verheiratet und sie in diesem Zuge nach Stromboli verfrachtet. Dort nun ist sie, die durch halb Europa geflüchtet ist, die nach Argentinien auswandern wollte, die mal auf dieser, mal auf jener Seite der Fronten des zweiten Weltkrieges gestanden hat – dort, auf Stromboli, ist sie eingesperrt. Eine Flucht ist nich t möglich. In ihrem bisherigen, facettenreichen Leben war es für sie leicht, die Grundangst zu vergessen, vor ihr „auszuweichen“ (wieder Camus!). In der Trostlosigkeit zwischen Mittelmeer und Vulkan eingesperrt, kann sie vor den Fragen nicht mehr länger fliehen: Entweder sie findet heraus, was sie am Leben hält und wird glücklich oder … Glück wünschen ihr viele: Die Mitgefangenen, als sie von Karins Heiratsplänen erfahren, mehrmals der Pfarrer auf Stromboli und die Mutter Antonios. Doch dieses Glück bleibt ihr zunächst verwährt. Sie ist eine „Fremde&quo t;, von den Einheimischen ihres exzentrischen Verhaltens wegen gemieden. Sie fühlt sich unverstanden und gedemütigt und nicht zuletzt gefangen wie ein Tier. Als sie das Glück – in Form des sich-mit-ihrer-Situation-abfindens – ein wenig erre icht zu haben scheint, wendet sich das Schicksal gegen sie: Der Vulkan bricht aus und verdeutlicht die ganze Willkür der Welt. Karin entschließt sich, von Stromboli zu flüchten und zwar, indem sie versucht, über den Vulkan zu steigen und auf die andere Seite der Insel zu gelangen. Dort liegt das Dorf Ginostra: eine Transzendenz, die Sinn und Erfüllung oder er neutes Ausweichen (durch die Möglichkeit der Flucht mit dem Motorboot – fort von Stromboli) verheißt. Aber auf ihrem Weg über den rauchenden und feuerspuckenden Vulkan wird sie neben ihrer zynischen und menschenverachtenden Todesgefahr auch die Schönheit der Welt gewahr: Erstmals sieht sie die Sterne über Stromboli, die Sonne, den Rauch und die Asche nicht mehr als ihre Nemesis, sondern als ihr „Amor fati“. Sie erreicht Ginostra nicht, sondern gelangt – nach dieser Nacht des Erkennens – wieder zurück zu ihrem Dorf und nimmt tränenerfüllt ihr Schicksal an. Sie hat St romboli zu ihrem persönlichen Felsblock gemacht, gleich dem Sisyphos aus Camuså Essay, und in diesem Felsblock das ihr ganz eigene Schicksal anerkannt, dass sie mit dem Stolz der Revolte erträgt.

Eine eher psychologische Deutung von Stromboli würde sich am überzeugendsten an der Entwicklung der Persönlichkeit von Karin darstellen lassen. Sie, die zur Erfüllung ihrer narzißtischen Wunschträume bisher alles getan hat, um Zwängen von Außen zu entgehen, begibt sich nun in die strenge Klausur der Fremddeterminierung, und das auch nur aus einer Laune heraus: Die Einwanderung in Argentinien wird ihr verwährt, da heiratet sie eben kurzentschlossen Antonio, de n sie nicht einmal richtig kennt, mit dem sie nur durch den Stacheldraht gesprochen hat. Eine Entscheidung, die sie sichtlich bereut: Als sie die Vulkaninsel auf der Hinreise erstmals erblickt, entgleiten ihr die Gesichtszüge derart, dass sich der Zuschauer den Rest des Filmes eigentlich fast schon denken kann. Und richtig! Alles auf der Insel sträubt sich gegen Karins Annektierungsversuche, seien sie nun materiell: die Verschönerung des Hauses, oder ideell: die verwehrte Zuneigung der Kinder und das aussichtslose Streben nach Anerkennung bei den Dorffrauen, die ihr Maßlo sigkeit und Impertinenz vorwerfen. Sie verbündet sich mit den Outcasts der Insel: einer Hure, versucht sich in erotischen Zweckbündnissen: zuerst mit dem Pfarrer, dann mit dem Leuchtturmwärter, um an Geld für ihre Flucht zu kommen. Sel bst der von Gesetz wegen mit ihr verbündete Antonio wird von ihr nur als Mittel zum Zweck angesehen: Er soll ihren Luxuszwang und zuletzt sogar ihre Flucht bezahlen. Es verwundert also kaum, dass sie in die durch strenge Normen, wie Enthaltsamkeit un d Fleiß strukturierte Dorf-Mikorsozietät keinen Einlass findet und allerhöchstens noch Mitleid mit den Tieren und sich selbst aufbringen kann. Je mehr sich Karin gegen die Insel und ihre Konventionen, die ihr auferlegt werden sollen zwängt, desto mehr wächst ihr reaktanter Widerstand. Zuletzt wird ihr Freiheitswille derart stark, dass sie von Antonio im Haus eingekerkert werden muss. S ie schafft es dennoch zu fliehen und könnte auch ohne weiteres dieses Schicksal hinter sich lassen und zurück aufås italienische Festland gelangen, aber etwas in ihr hindert sie daran: ihr ungeborenes Kind, dass sie an Antonio und damit an Strom boli bindet. Durch es fühlt sie sich zum ersten mal zu etwas verpflichtet. Sie wird durch ihr Gewissen (ich sträube mich, es ihre „Mutterinstinkte“ zu nennen) gezwungen, ihre Selbstbezogenheit einzuschränken. Und als sie am schon beschriebenen Morgen von Stromboli herab nicht etwa Ginostra, sondern ihr Dorf erblickt, geht sie konsequent den nächsten Schritt vom „Ich“ zum „Wir“: Über die Einwohner des Dorfes sagt sie: „Sie wissen nicht, was sie tun. Doch ich b in schlimmer.“ Und damit setzt sie sich erstmals in ein Verhältnis zu den anderen, dass konstruktiv sein kann. Derlei biografische Umbrüche sind Topoi zahlreicher Filme: Der Held wird erst zum „echten“ Helden (also einem im Vulgärenverständnis), wenn er sein Verhalten ändert. Meistens gelingt es ihm auch dann erst, ein Problem wirklic h zu lösen.(3)

Die Möglichkeit einer Deutung Strombolis drängt sich dem Zuschauer wohl fast am deutlichsten auf. Das Finden Gottes durch Karin (sei sie nun atheistisch oder gar nihilistisch) wird schon im Prolog angedeutet: Der Prophet Jesaja wird zitiert und sein „Ich ließ mich suchen von denen, die nicht nach mir fragten, ich ließ mich finden von denen die mich nicht suchten.“ Stromboli als Motto vorangestellt. Der Römerbrief (10,20) führt den Ausspruch weiter und macht dessen Bedeutung für die Filmhandlung etwas durchsichtiger: „Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt nach dem Volk, das sich nichts sagen lässt und widerspricht.“ Nun bin ich einmal anmaßend und übertrage das Geschri ebene, das eigentlich von der Verstoßung der Abtrünnigen und der gnädigen Annahme der Getreuen handelt, auf Karin. Sie lässt sich tatsächlich nichts sagen und widerspricht. Das Beharren auf der Autonomie ihres Schicksals wird der frommen und asketischen Lebensweise der Inselbewohner entgegengestellt. Worin Karin das Fürchterliche sieht, sehen sie die Er lösung: zu leben und zu sterben auf Stromboli. Die Insel wirkt auf Karin und auch den Zuschauer nicht ohne Grund fast wie ein Straflager. Der Vulkanausbruch konfrontiert uns mit der Willkür eines Gottes, der Schuldlose richtet und dennoch lieben die Einwohner ihn und ehren ihn im gemeinsamen Gottesdienst. Von der Inselbevölkerung wird Karin tatsächlich nun „gesucht“ aber nicht „gefragt“. Man lebt ihr vor, das Schicksal als gottgewollt anzunehmen und will sie in die Herde hineinzwingen. Der Pfarrer ist ständig bemüht, Karin den kleinen Finger Gottes „auszustrecken“, den sie aber als seinen eigenen begehrt (weil er mit ihm die Kollekte einsammelt). Und selbst, als ihm das auffällt hat er nur Mitleid mit ihr(4) und betet für sie. Als die Diskrepanz zwischen eigenem Wollen Karins und der Willkürlichkeit der Handlungen Gottes immer größer wird, entscheidet sie sich, den Kreis zu verlassen, die Gläubigen mit ihrer Thoedizee allein zu lassen. Just da wendet Gott s ein rächendes Antlitz von ihr ab und zeigt ihr die schöne Seite seiner Schöpfung. Seine Dialektik: Was Feuer spuckt, kann auch ganz nett anzusehen sein. Karin besinnt sich und reiht sich endlich in die Gemeinde der Gläubigen ein: “ ;Dio mio!“ Ob Rossellini sich lustig machen will oder nicht, weiss ich nicht und will es auch nicht entscheiden müssen.

Ich verlasse nun die Annäherungen an den möglichen deponierten Sinn, die Ebenen tropischer Deutung, deren Länge und Ausführlichkeit ich irgendwie zu rechtfertigen habe. Es lag mir fern, damit den Essay auf die benötigten fünf bis sieben Seiten zu blähen, so viel vorab! Ich wollte (ungerechtfertigterweise halbprofessionell) schildern, welche textlichen Entsprechungen sich in Stromboli finden lassen – wenn man danach sucht, um nun die Frage abermals aufzugreifen: Wie eigen ständig ist das Kunstwerk Film? Diese Deutungsschemata lassen sich ja nicht nur auf den Film anwenden, sondern auch auf Romane, Bilder, Skulpturen und mit ein bisschen Tüftelei und viel theoretischem Hintergrund wohl auch auf Musik. Und trotzdem bleiben diese dabei eigenständi ge Kunstwerke. Das liegt in in ihrer Gattungsgeschichte begründet. Man würde wohl kaum annehmen, ein Gemälde, ein Foto oder eine Musikkomposition (5) wären die gewollte Eins-zu-eins-Umsetzung einer literarischen Vor lage. Ein Film hingegen scheint die Möglichkeit zu verfilmen geradezu anzubieten: Einen ganzen Roman, (manchmal mit fast wortgetreuer Narration im Hintergrund: John Sturges/Ernest Hemmingways The Old Man and the Sea oder noch deutlicher Peter Handkes Peter-Handke-Filme). Eine Arbeitsweise, der auch die Filmemacher zustimmen. Dieses Verfilmen von literarischen Stoffen begleitet die Geschichte des Filmes von Anfang an und hat wohl auch damit die Kontroverse begründet. Zwar nicht so explizit wie bei diesen Literaturverfilmungen, doch nachvollziehbar lässt sich aber zeigen, dass in jeder vom Text emanzipierten Kunstform solche textlichen Ideen enthalten sind – und warum also nicht auch im Film?: „Ein Autor mus s, um Autor sein zu können, Rezipient gewesen sein.“, hat ein Jenaer Literaturprofessor gesagt. Und damit hat er wohl Recht: Der Künstler als die Summe seiner Erfahrungen schafft ein Kunstwerk gleichsam als Essenz dieser Erfahrung. Sei es n un bewusst oder durch Inspiration, durch eine Muse oder den kantischen Geniebegriff initiiert. So finden sich derlei philosophische, psychologisch und theologische Ideen in Kunst wieder und lassen sich durch den geneigten und belesenen Rezipienten nat&uum l;rlich auch wiederfinden! Aber dies rechtfertigt zu keiner Zeit das Gleichsetzen sondern allerhöchstens den Vergleich zwischen (Pardon:) Kino und Konsalik! Denn, um auf mein Beispiel zurückzukommen, wie Rossellini den Stoff umsetzt, der in ihm gegoren ist: Darauf kommt e s an! Es ist nicht so sehr die theoretische Erfahrung der Camusåschen Absurdität, als vielmehr das Bild des missglückenden Versuchs, sich durch den Stacheldraht zu küssen, den Rossellini Karin und Antonio verdeutlichen lässt. Das Unverst&aum l;ndnis Karins ausgedrückt in den quasidokumentarischen Sequenzen des Vulkanausbruchs und des Thunfischfangs, im sartresken Ekel vor den Menschen, als Antonio das Kaninchen dem Frettchen opfert, von Otello Martelli fast voyeuristisch eingefangen: Hie r findet der Film den Ort als Kunstwerk. Weiter: Die Konflikte Karins mit Antonio und dem Pfarrer vorausgesehen durch die von der Kamera sezierte Begrüßung auf der Insel. Die drei stehen schon dort im Dreieck ihrer späteren Beziehung. Das unvergleichliche Gesicht Karins am Strand von Stromboli, dass schweigend vor Entsetzen so vieles sagt. Die Totalen der felsigen Küste: Das Meer ist die absolute Grenze der Protagonisten! Die aus der Vogelperspektive im zum Labyrinth gewordenen Dorf umherirrende Karin: Es gibt keine Ausweg! Der harte Schnitt (wo sonst Überblendungen dominieren): Karin hat die Auswanderung nach Argentinien nicht erreicht und jetzt heiratet sie Antonio, basta. Es erübricht sich fast, etwas über Karins Charakter aus Sicht der Psychologie hinzuzuf ügen. Dieser Schnitt ist eine eindringliche Metapher dafür: Keine biografischen Übergänge, nur radikale Abbrüche. Vorausdeutend auch Karins Gesicht bei der Trauzeremonie (gilt die Verachtung dem Geistlichen, dem Ritus, Antonio ode r ihrem Schicksal?).

Hier zeigt sich, dass die Mittel des Filmes eben die Mittel des Filmes sind. Das Gesprochene lehnt die Literarität des rein Geschrieben-erzähletem ab(6), denn es verschmilzt mit dem Bild. Das Bild nunwieder lehnt die Vatersch aft der Fotografie (wenn sie auch rein technisch bestehen mag) ab, indem es ganz schnell durch ein weiteres und wieder ein weiteres ersetzt wird und dadurch Bewegung suggeriert. Die Kamera ist somit kein Federhalter mehr – auch kein metaphorischer. Astrucs Vergleich ist kontraproduktiv, weil er – den Vergleich verneinend – vergleicht. Die Grammatik, die er fordert geht etymologisch auf die griechische „ars grammatica“, also die (erst einmal phonematische und graphematische) Sprachlehre zurück, genauso, wie er die „Übertragung der Zeiten des Verbs“ interessant findet: Er führt damit meiner Ansicht nach die Filmwissenschaft viel zu nah an die Text wissenschaft heran. Aber: Dort wird Text geschrieben und gesprochen und nicht gefilmt(7). Film ist allerhöchstens Interpretation von Textlichem. So wie die Übersetzung der einen Sprache in die andere eine Interpretation ist. Film kann den Sprach- und Textbegriff höchstens an der äußersten Grenze der Linguistik verwirklichen: Text als kohärente Reihung von Inhalten. Aber nur mit der Kamera als Kamera.

Fußnoten

  1. So gefordert in MOVIESTAR 12/97 Seiten 80f.
  2. Zu denen der neue Shining zählt und was man so hätte kritisieren können
  3. Man beachte in dieser Hinsicht zum Beispiel Howard Hawks Rio Bravo, dessen drei Helden dem Filmtitel auf diese Weise eigentümlich Sinn verleihen!
  4. Diese Art des ekligen Mitleides, dass der Glaubende dem Ungläubigen entgegen-bringt, weil dieser eben nicht glauben kann.
  5. Hier käme mir die „Tondichtung“ in den Sinn, z. B. Strauss‘ „Also sprach Zarathursta“, oder eben Filmmusiken. Aber sind diese Chiffren noch erkennbar?
  6. Ohne es jedoch übertrumpfen oder gar negieren zu wollen! Das hat Film nicht nötig. Und jeder, der „lieber das Buch liest, als den Film zu sehen“, der „den Film besser als das Buch fand“, hat wenig verstanden.
  7. Auch noch im Zeitalter des Schulfernsehens.