Die Inneren Organe der Föderation

„Star Trek: First Contact“ als allegorisches Kulturbewusstsein

Angesichts der nicht abbrechenden Schwemme der „Invasions-Shocker“ im Kino seit Beginn der 90er Jahre macht es Sinn, einmal zu hinterfragen, welche Werte (und jedes Kunstwerk versucht ja solche Werte zu vermitteln) mit Filmen wie „Independence Day“, „Mars Attacks!“, Starship Troopers“ und anderen mal mehr oder weniger verdeckt, mal ganz ernst, mal sarkastisch, transportiert werden sollen. Eine umfassende Analyse, die dann ja auch die Entwicklung der Invasions-SF seit Georges Méliès‘ „Reise zum Mond“ mit einbeziehen müsste, würde den Rahmen einer Zeitschrift wie dieser mit Sicherheit sprengen und wäre in einer Promotion sicherlich besser aufgehoben als in einem Fanzine.

Nun, der angesprochene Rahmen der „Trekdinner News“ gibt aber eine interessante und durchaus lohnenswerte Betrachtung des Sujets „Böse Aliens wollen den Menschen an die Gurgel“ schon vor: Wie sieht es denn mit den unterschwelligen Botschaften der ST-Filme aus. Ich erlaube mir, die zahlreichen Konflikte, die von Kirk bis Janeway ausgetragen wurden zu übergehen und widme mich hier vor allem dem letzten Kinofilm „Star Trek 8: First Contact“, also der Beziehung zwischen der Föderation und den Borg.

Als Q in „STTNG: Zeitsprung mit Q“ der Menschheit die Borg vorstellte und sie somit einem scheinbar ebenbürtigen Gegner vorstellte, war damit nicht nur Stoff für weitere spannende Folgen und Filme geliefert, sonder auch die Grundfrage nach dem politischen System innerhalb der Föderation gestellt. Bislang hatte man von dieser Föderation ja nur gehört, wenn wieder einmal ein Fähnrich von der Akademie auf die Brücke der 1701d geschickt wurde oder ein Admiral das Steuer an sich riss, um Intrigen zu inszenieren oder zu verhindern. Die Struktur der Föderation wurde also nur in ihrem militärischen Gehabe präsentiert. Daran hat sich bei der Begegnung mit den Borg in „First Contact“ nicht wesentlich geändert, aber es ist etwas hinzugetreten: „Das Andere“.

Hierzu ein kleiner Exkurs für die Einsteiger in die postmoderne Philosophie: Seit dem Beginn kulturwissenschaftlicher Kolonialismusforschung ist bekannt, dass sich der Mensch stets dadurch definiert, dass ihm ein Anderer gegenübertritt, der ihn als Menschen anerkennt. Der Satz „Das Selbst ist das Selbst nur durch das Andere“ hat seitdem einen populären philosophie-politischen Feldzug angetreten. In der postmodernen Ästhetik ist man bemüht, die politischen Konstellationen zu betrachten, unter denen Kunst entsteht, um auf diese Weise herauszufinden, ob sie bewusst oder unbewusst in die „Message“ der Kunstwerke Einzug gehalten haben und von dort ein Weltbild nur nüchtern beschreiben oder (wie etwa bei „Independence Day“) schmackhaft machen wollen.

Wenden wir diese Methode nun einmal auf „First Contact“ an und zeigen dabei die Entwicklung des Borg-Föderations-Konfliktes. In oben genannter TNG-Folge „Zeitsprung mit Q“ wird ein wahrhaft grausiges Bild der Borg inszeniert: Eine vernetzte, seelenlose Gemeinschaft, deren einziges Ziel es ist, „Andere“ Kulturen zu assimilieren und sich somit über die Galaxis auszubreiten. Der Kampf mit diesen Wesen kann nicht geführt werden, denn „so weit ist die Föderation noch nicht“. Kurzerhand schickt Q Picard und seine Leute zurück nach Hause. Ein paar Folgen später gerät Picard selbst (quasi als Stellvertreter der Föderation) in die Fänge der Borg und wird zu einem der ihren. Er selbst übermittelt seiner ehemaligen Rasse die Botschaft „Jede Verteidigung ist zwecklos“ und fordert auf, sich zu ergeben, um vollständig assimiliert zu werden. Nach zäher Schlacht kann er jedoch befreit, ein Krieg mit den Borg verschoben und Picard zu guterletzt wieder in sich selbst zurückverwandelt werden. In der letzten TNG-Folge, die ich zu dieser Analyse hinzuziehe, findet die Enterprise gar selbst einen versprengten Borg auf einem Planeten. Zuerst will Picard (wohl aus persönlichem Rache-Gelüst) diesen dazu benutzten, eine Virus in die Borg-Gemeinschaft einzuschmuggeln und diese damit quasi von innen her zerstören. Dann jedoch geschieht etwas denkwürdiges. Unter ständigem Einreden der Besatzung entwickelt der Borg ein Ich. Er gibt sich sogar einen Namen und wird so zu einem (nach philosophischen und psychologischen Definitionen) „Individuum“. Ihn einfach wie eine Bombe zu benutzten wagt sogar Picard nun nicht mehr (Kenner werden da den Kant im Picard entdecken!).

Was ist nun in diesen Folgen passiert, was den Zugang zu einem inneren Bild der Föderation zuließe? Ganz einfach: Die Föderation hat in „zärtlichen“ Annäherungsversuchen herausgefunden, dass sie in den Borg sich selbst gefunden habt. Was unterscheidet diese beiden Spezies denn außer dem Aussehen voneinander? Nichts! Die Borg versuchen, genau wie die Föderation, die Werte, die sie für wichtig und richtig halten zu fördern. Ist es bei der Föderation der Humanismus, so bei den Borg die All-In-One-Gemeinschaft (später wiederholen die Formwandler diesen Prozess sehr originell). Der Föderationsmensch fürchtet nun aber nicht so sehr, wie seine Identität zu verlieren, also keinen „Anderen“ mehr zu haben, der sein „Selbst“ definiert. Bei den Borg ist es genau umgekehrt: Individualismus würde deren Kulturkonzept extrem zuwider laufen. Weiterhin ist ja nun auch fraglich, ob die zahlreichen Spezies, die sich die Föderation einverleibt, denn so zufrieden mit deren „Kulturimperialismus“ sind. Wer sagt denn, dass die humanistischen Prinzipien für alles Lebewesen die einzig richtigen sein müssen. Das Beispiel der Borg zeigt ja, dass das nicht so ist.

Hier liegt wohl insgesamt gesehen auch der Grund, warum die Borg bis „First Contact“ nicht vernichtet werden konnten: Sie waren den Menschen einerseits zu ähnlich (in ihrem Werteexport) und andererseits zu fremd (durch ihren totalen Gemeinschaftssinn). Weil aber der Mensch allem Fremden gegenüber misstrauisch ist (das ist eine antropologische Wahrheit, die in allen Kriegen der Welt ihren Beweis findet!), und alles ähnliche versucht, für sich zu gewinnen (also zu assimilieren), hätte die Föderation genau genommen sich selbst negiert, wenn sie die Borg schon hätten.

Aber in „First Contact“ tritt dann ein Faktum zu Tage, dass dieses Gleichgewicht ins wanken bringt: Die Borg gehorchen einer sogar sehr individuellen „Borg-Queen“. „Aha!“, sagt da der kritische Betrachter und der Treckie wundert sich! Es gibt also ein Führerprinzip bei den Borg. Daraus folgt ja ganz offensichtlich, dass sie „seelenlose Gemeinschaft“ doch eine Seele hat: Die der Anführerin (wobei hier zu erwähnen sei, dass es ein alter Hut ist, ein weibliches Wesen dafür auszuwählen: So präsentiert sich das „Andere“ nun auch noch dem Mann und dem „männlichen Blick“, der nach Ansicht der Filmwissenschaft im Kino nie aufgehört hat zuzuschauen!). Die Gesellschaft der Borg ist also eine faschistische: Gleichgeschaltete, seelenlose Soldaten folgen einer Führerin, die befiehlt. Und damit hat nun die Föderation eine Möglichkeit und auch endlich einen Grund, die Borg zu vernichten. Die Möglichkeit liegt in der Tötung genau dieser Führerin (womit wir ja auch irgendwie beim „Brainbug“ aus Starship Troopers angekommen wären!).

Diese Ausführungen, die zum Ende hin schon fast vorwegnehmen, was einer abschließenden Analyse gebührt, machen uns klar, das sich seit der „Classic“-Serie im Prinzip überhaupt nichts an der Föderation geändert hat. Es werden Werte vermittelt (sowohl innerhalb der Plot-Logik als auch mitten in die Stuben und Kinosäle hinein), die uramerikanisch sind. Freilich: damals hatte Kirk nicht viel mehr zu tun, als die Western-Idylle fortzusetzen, indem er amerikanische Geschichte verfilmte und ab und zu den Kommis in den Hintern zu trat. Nach dem Zusammenbruch der „sozialistischen Alternative“ aber musste auch Amerika seine Werte anpassen und etwas neues präsentieren. Nun bleibt es beim Betrachter, ob die Vernichtung der Borg eine „Entschuldigung für das späte Eingreifen in den 2. Weltkrieg“ sein soll, ob also der Traum des „hätten wir damals Hitler getötet“ weitergeträumt wurde (zu Ungunsten eines Saddam Hussein), oder ob ein angesichts des rabiaten Verlustes des Feindbildes mit dem Untergang des Kommunismus gleichbleibendes militaristisches Muskelspiel gerechtfertigt werden sollte.

Es hat sich also gezeigt, dass die Föderationsethik, die Amerikas ist. Nun muss man allerdings hinzufügen, dass sich weder die Serie, noch die Filme (und schon gar nicht „First Contact“ allein) auf einen solchen Sinn reduzieren lässt. Es gibt (wie zahlreiche akademische Literatur zeigt) haufenweise Bezüge auf die Philosophiegeschichte, das Aufwerfen der grundsätzlichsten psychologischen Probleme und vieles mehr, dass das Kunstwerk „Star Trek“ seit mehr als 30 Jahren zu bieten hat. Aber dennoch sollte der kritische Blick auf die subtileren Elemente nicht dadurch verstellt werden. „Star Trek“ ist auch nur ein Film. Nicht viel mehr, aber auch nicht weniger.

(Zuerst erschienen in: „Trekdinner News“ Nr. 5/1998.)